"Frauen geben den Ton an"

Neun Komponistinnen, ein Konzert - 1931 und das Leben danach

Hamburg im Jahr 1931, ein ungewöhnliches Konzert mit Musik von neun Frauen aus fünf Ländern. Ihre Kompositionen könnten unterschiedlicher nicht sein, zwischen Tradition und Moderne, immer kompromisslos, ob tonal oder atonal. In ihren Schicksalen spiegeln sich die Wirren der folgenden Jahre
– und die Rolle der Frau in der Musik. Auf den Tag genau 90 Jahre später wird am selben Ort ihre Musik wieder zu hören sein und ihr Leben nachgezeichnet. 
Ein Konzert, eine Hommage, eine Ermutigung.


Recherche

Konzert mit Moderation im Logenhaus der Vereinigten fünf Hamburgischen Logen am
08. Dezember 2021

Am 08. Dezember des Jahres 1931 fand im Logenhaus in Hamburg ein Kammerkonzert statt, das von der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen) für die Internationale Gesellschaft für Neue Musik Hamburg veranstaltet wurde. Man hörte zeitgenössische Werke von neun Komponistinnen, von denen mehrere selbst anwesend waren und zwei als Instrumentalistinnen beteiligt waren. Mehr als die Hälfte der Werke wurde zum ersten Mal aufgeführt.

 

Am 08.12.2021 werden ausgewählte Musikstücke der neun Komponistinnen in der Originalbesetzung des Konzertes von 1931 für Klavier, Violine, Oboe, Cello und Gesang erklingen. Benno Ure wird mit den Geschichten über die Komponistinnen durch die Veranstaltung führen. 


Die Idee für Benno Ures Recherche
nach den Hintergründen des Konzerts und den Biographien der Komponistinnen entstand bei der Suche nach vergessener Musik in der Österreichischen Nationalbibliothek. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1988 berichtete Natalia Prawossudowitsch, eine Meisterschülerin Arnold Schoenbergs über ihre Zeit mit ihrem Lehrer.

 

Prawossudowitsch war im Jahr 1928 aus St. Petersburg nach Berlin gekommen, dort gescheitert, nach Meran ins Exil gegangen und arm und vergessen gestorben. Viele ihrer Werke, die im Gegensatz zu denen Schoenbergs tonal waren, wurden nie aufgeführt.
 In der Dokumentation des Gesprächs ist die Ankündigung des Konzerts von 1931 enthalten, im Rahmen dessen mehrere Werke der Komponistin erstmals zu hören waren.

Grab von Natalia Prawossudowitsch (1899-1988)

Grab von Natalia Prawossudowitsch
(1899-1988)


Germaine Taileferre (1892-1983)

Germaine Tailleferre
(1892-1983)

Recherchen nach den übrigen Komponisten
des Hamburger Konzerts ergaben, dass ihr musikalisches Spektrum und ihre Lebensläufe unterschiedlicher nicht hätten sein können. Die Aufarbeitung der Schicksale zeigt in vielfacher Hinsicht, wie schwer es hochbegabte Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten. Es geht um Erfolge und Niederlagen, glückliche Lieben, gescheiterte Ehen, Isolation und Verzweiflung, Freundschaften mit großen Namen, chronische Geldsorgen, Fehlgeburten, eifersüchtige Ehemänner, das Zurückstellen der eigenen Karriere für die anderer, um eigene Kinder und Familie.

 

Allen Widerständen zum Trotz gelang es vier der Komponistinnen, sich mit ihrer Musik einen Platz im Musikleben zu erkämpfen. Germaine Tailleferre war als einzige Frau Mitglied der „Groupe des Six“, und studierte am Pariser Konservatoire, wo sie mehrere Preise gewann. Gegen den Willen ihres Vater wurde sie Musikerin, lebte im Pariser Montparnasse, kannte Modigliani, Delaunay, Satie, war befreundet mit Picasso, arbeitete mit Charlie Chaplin, und litt trotz ihrer bis heute bekannten Erfolge als Mitglied der „Groupe des Six“ stets unter Selbstzweifeln – und unter ihren gescheiterten Ehen.


Alle Lebensläufe
spiegeln auf unterschiedliche Weise die Wirren und Ereignisse der Zeit wider. Ilse Fromm-Michels überstand nach gescheiterten Emigrationsversuchen mit ihrem jüdischen Mann in Hamburg zwölf Jahre Nationalsozialismus nach ihren eigenen Worten „hocherhobenen Hauptes“. Ihre „besten und reifsten Werke“ entstanden bei Bombenangriffen im Bunker, schrieb sie. Fromm-Michels blieb bekannt für ihren skurrilen Humor. Von Gertrud Schweizer blieb nicht mehr als die Autographen ihrer Werke, Lieder, Klavier- und Violinmusik, die sie selbst liebevoll mit Seidenschleifen und Zeichnungen verziert hat. Wie die Papiere in die Wiener Nationalbibliothek gelangten ist nicht bekannt, denn sie kam 1942 in Auschwitz um und hinterließ buchstäblich nichts als diese Noten. Ihrer Mitschülerin bei Ernst Toch in Mannheim, Trude Rittmann, gelang die Emigration nach New York. Sie reüssierte am Broadway, komponierte Musicals, doch blieben bis heute mit den weltbekannten Werken stets die Namen von Männern verbunden.

 

Vergessen sind die Musik von Vera Winogradowa mit ihren Lebensstationen Russland, Lettland und London und die Musik der Niederländerin Emmy Heil-Frensel Wegener, die besonders poetisch ist. Schließlich  waren da noch Ruth Crawford und deren Schülerin Vivian Fine, zwei Amerikanerinnen der Neuen Musik, mit denen die in Europa lebenden Komponistinnen vernetzt waren.

Notenblatt Gertrud Schweizer (1894-1942)

Notenblatt
Gertrud Schweizer
(1894-1942)


Vera Winogradowa (1894-1982)

Vera Winogradowa
(1894-1982)

Ilse Fromm-Michaels (1888-1986)

Ilse Fromm-Michaels
(1888-1986)

Ruth Crawford (1901-1953)

Ruth Crawford
(1901-1953)

Vivian Fine (1913-2000)

Vivian Fine
(1913-2000)


Veranstalter war
die im Jahr 1926 gegründete „Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“ GEDOK. Diese wurde kurze Zeit darauf als „ReichsGEDOK“ nationalsozialistisch gesteuert und ihre Gründerin Ida Dehmel im Jahr 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ausgeschlossen. Aufzeichnungen der GEDOK über das Konzert aus 1931 sind nicht auffindbar. Die im Jahr 1922 gegründete Gesellschaft für Neue Musik wurde 1933 von den Nationalsozialisten verboten. Sie verfügt ebenfalls über keine Unterlagen aus der damaligen Zeit.

Das Konzert
fand im Logenhaus der Großen Loge von Hamburg statt. Welche Rolle die Freimaurer für das Konzert spielten und wie der Kontakt zu ihnen zustandekam, ist derzeit Thema von Recherchen. Im Jahr 1937 ordneten die Nationalsozialisten an, das Logenhaus Stein für Stein abzutragen. Heute steht an selbiger Stelle das 1971 eröffnete Haus der Vereinigten fünf Hamburgischen Logen, in dessen Saal am 90. Jahrestag die Musik der neun Komponistinnen wieder erklingen soll.


Mitwirkende:   

Benno Ure, Moderation

Marietta Kratz, Violine

Henning Lucius, Klavier

Guilherme de Sousa, Oboe

Clara Grünwald, Violoncello

Marcia Lemke-Kern, Sopran

Jennifer Hymer, Klavier     

 

Arrangements:

Simone Candotto, René Mense

Gefördert durch die Behörde für Kultur und Medien Hamburg, Referat Erinnerungskultur.

Gesponsert vom Bundesverband der Großloge der Freimaurer.

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Programmheft Frauen_geben_den_Ton_an.pdf
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